Tom Ackermann

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Copyright Tom Ackermann 2018

Vorabdruck Obermoos

16. Februar 2022 von Tom Ackermann

Nach dem Abstecher ins „Hollywood Hotel“ kehrt Tom Ackermann wieder in heimische Gefilde zurück: „Obermoos“, ein entzückendes Nest aus dem Hochglanzprospekt, in dem jeder seine Bilderbuchrolle spielt. Denn, so der Wirt Theobald Obermooser: Auf das Äußere kommt es an. Leider will sein Sohn Dominik, ein hochbegabter „Spinner“, so ganz und gar nicht in diese Schablone passen. Schon im Buch der Bücher steht: Wen Gott liebt, den züchtigt er. Wenig Liebe, viel Zucht ist die Krux des kreuzbraven Wirtssohns Dominik. Sein Leben ist eine Achterbahnfahrt der Gefühle, wie schon der Prolog anklingen lässt:

 

Prolog: Achterbahn

Jahrmarkt. Jubel, Trubel, Heiterkeit.

Hereinspaziert! Hier kriegst du, was das Herz begehrt und mehr. Lass dich rotieren, rock’n, roll’n, rühren, rütteln, schütteln, lass es krachen und crashen im Autodrom! Geh in die Luft im Hurrican! Komm auf Teufel komm raus ins Geisterhaus! Lach dich schief im Spiegelkabinett! Schieß im Zelt auf alles, was sich rührt und hol dir einen Blumenstrauß! Und willst du wissen, was dir sonst noch blüht, befrag die Kugel von Madame Mensonge, ihr Glitzerglas sagt viel – und nichts. Drum, Freund, verlasse dich auf nichts. Nur du bestimmst den Kurs. Der eine zieht am Boden träge Kreise, will nichts riskieren, nichts verlieren, der andere steigt steil empor und jagt tollkühn zu Tal, du hast die Wahl.

Damen und Herren, Kinder und Nochkinder: die Sensation! Die steilste, geilste Bahn der Welt: Der FREE FALL! Gleich geht es los! Der Barren springt auf. Alles stürmt zu den Wagen, du allen voran in die Polepoleposition, erste Reihe kopffrei, keiner vor dir, niemand, der dir die Sicht nimmt, nichts zwischen dir und dem Nichts.

Ein Mann schreitet die Plattform ab, prüft, ob alles nach Plan läuft. Den wahren Plan kennt er nicht, entscheidet nach dem Schein: Grünes Licht! Endlich! Der Wagen ruckt, rollt, dreht am Boden eine Aufwärmrunde, dann klinkt er sich ins Zugband ein, der ratternde Steigkurs beginnt. Was dir vertraut war, verschwimmt unter dir. Die dünne Luft heißt dich gierig willkommen. Der Horizont umarmt dich zum Abschied. Im Westen funkeln letzte Nester der fallenden Glut. Doch dir steht der Sinn nicht nach Postkartenkitsch, deine Augen fixieren das blitzende Metall der Schienen. Der Wagen lässt das Zugband hinter sich und tänzelt dahin in schwindelnder Höhe, dann macht er einen jähen Schwenk und folgt den Schienen in den jähen Abgrund. Siebzig Grad Gefälle heben dich vom Sitz, du hängst nur noch in den Gurten, und kaum ist der Talschuss vorbei, schleudert dich der Schwung den nächsten Berg hoch…

…und da passiert es. Der Wagen beginnt zu bocken, dem Schienenzwang zu trotzen, holpert und poltert in loser Führung dahin – wohin?  Die Chancen, aus der Bahn zu fliegen, klettern aus zweistelliger Wahrscheinlichkeit in dreistellige Gewissheit. Freund, du hast ein Problem. Eines, das keiner für dich löst. Das Problem, wie  du die nächsten Sekunden überlebst. Die Fliehkraft katapultiert dich in den Himmel. Ein kurzer Höhenflug, bevor die Erde ihr Eigentum für sich reklamiert. Schließ die Augen und genieß den Moment. Du kriegst mehr für dein Geld, als du erwartet hast.

Den freien Fall…

 

Der zu spitze Stift

Der 15jährige Dominik überrascht seinen Vater zum 60. Geburtstag mit einem selbstgemalten Porträt.

Was ist „Sinn“?

Das Begreifen höherer Zusammenhänge, die es vielleicht gar nicht gibt. Vielleicht nicht, vielleicht doch. Dem, der seine Sinne öffnet, erschließt sich so manch Verborgenes. Allerdings können sie getrübt sein und dich irreleiten. Dem einen schenkst du reinen Wein ein und er misstraut dir, der andere kriegt ein Krügel Trübes auf den Tresen geknallt und bestellt, weil’s so gemundet hat, gleich ein nächstes: „Wirt, noch ein Bitteres!“

Mein Vater, der Jagawirt, ließ sich die Bitternis gleich fässerweise liefern und zapfte einen Gutteil davon für sich und seine Familie ab. Wer meint, in einem Gastbetrieb seien die Tische auch privat reichlich gedeckt, der irrt. Familienintern bleibt die Küche karg und überschaubar. Jeder von uns löffelte seine Einbrocksuppe aus und den Sterz aßen wir nach Bauernart alle aus demselben Topf. Doch in meinen Träumen war ich Gast im eigenen Betrieb, durfte mir den Tisch aussuchen, die Speisekarte studieren und ein weißbeschürztes Zauberwesen kam lachend und fragte, ob ich schon gewählt hätte.

Aber können wir „wählen“? Auch im Traum ist es müßig, es zu versuchen, denn bevor dir das Gewünschte kredenzt wird, löst sich alles in Nebel auf. Und im Wachzustand akzeptierst du sowieso alles als gegeben. Zumindest, wenn du einen Vater hast wie den „Jagawirt“ Theobald Obermooser.

Was wusste ich, der ich die ersten zwanzig Jahre meines Lebens Tür an Tür mit meinem Erzeuger wohnte, was sich in seiner versperrten Kammer abspielte? Etwa, warum er nach dem Tod meiner Mutter im Kindbett kein zweites Mal geheiratet hatte. Oder warum es ihm so schwerfiel, Gefühle zu zeigen. Vaters Leitsatz war: „Merk dir, Bua, s Äußere is, wos zöhlt. Wos in uns drin is, geht neamand wos on.“

Mich auch nicht. Hätte ich sein Inneres gekannt, seine mit beinharter Härte kompensierte Verwundbarkeit durchschaut, ich hätte es mir zweimal überlegt, ihm zum sechzigsten Geburtstag ein selbstgezeichentes Bild zu schenken. ‚Hausherr am Stammtisch‘ nannte ich es. „Ein Werk der Meisterklasse“, wie mein Onkel meinte. So kratzte ich all mein Taschengeld zusammen, lief zum Glaser-Fritz und ließ mein Meisterwerk würdig rahmen. Er verlangte für die halbstündige Arbeit nur ein paar Schilling, „wäul du‘s bist, Jagabua. I‘ hoff lei, s gfollt n Herrn Papa“.

 

Ein eiskalter Wind fegt ausgerechnet an Vaters Festtag über die Obermooser Höhen und es schüttet aus Schaffeln. Die Kutschfahrt mit Vater, der ich so entgegengefiebert habe, ist ebenso abgesagt wie die Musikkapelle. Von Mieselsucht gebeutelt, stapft der Jubilar in Festtracht durch das Fiasko und grantelt jeden an, dass ihm alles versaut sei, wenn sein sehnlichster Geburtstagswunsch, das Andreas-Hofer-Lied, ausfällt. Damit die Stimmung nicht in den Keller kippt, hat Kantor Fuchshuber in aller Eile den Kirchenchor zusammengetrommelt. Dabei war ich schon so erleichtert, dass diesmal nicht gesungen wird, weil Vater noch bei jedem Fest spätestens an der Stelle ‚Ade, mein Land Tirol‘ von der Rührung übermannt wurde, was mir immer schrecklich peinlich war.

Die Gratulanten haben sich im Speisesaal eingefunden, Bürgermeister, Freiwillige Feuerwehr, der halbe Ort ist da, sogar die Fuchshuberischen, komplett bis auf Onkel Cornelius, der mit den Chorsängern Andreas Hofer probt. Die Fuchshuber Maria ist, muss ich neidlos zugeben, noch schöner als meine Schwester. Sie braucht auch den ganzen Abend nichts zu tun, als neben ihrem Mann zu sitzen und zu strahlen, während die Traude zur Schwerarbeit vergattert wurde. Das Personal hält es nie lang bei uns aus, so schleppt  wieder einmal meine Schwester die Tabletts. Aber es gibt Schlimmeres. Zum Beispiel jemanden wie den Fuchshuber heiraten. Pech für Fuchsi, dass er dem Vater nachgeraten ist, Glück jedoch für mich und meine spitze Feder. So leicht wie er ist keiner zu treffen. Aber am besten von allem, was ich jemals auf Papier verewigte, ist mir Vaters Stammtischrunde gelungen. Er selbst natürlich im Mittelpunkt, zu seiner Rechten Pater Timo, Gestalt hager, Profil markant, Lippen verkniffen, ihm zur Seite Kaplan Ludwig, Kopf rot, Goder gebläht, zu Vaters Linken Fuchshuber, froschartig, daneben Doktor Tögischer, dicke Brille, Augen riesengroß, und als bleicher Geist im Hintergrund Hugo, hohlwangig, Haar schlohweiß. Die Stammtischler sind nur skizzenhaft ausgeführt, Vater hingegen mit Liebe zum Detail ausgestaltet, seine Leibeswülste so prall, dass sie die Knöpfe am Trachtenhemd fast sprengen. Vater hat in letzter Zeit an Gewicht zugelegt. Vielleicht mahnt ihn die Zeichnung, wieder mehr auf sein Äußeres zu achten. Ist ja nur gut gemeint. Sein Gesicht hätte ein fröhliches werden sollen. Früher ließ Vater vor Gästen seinen Charme sprühen, doch in letzter Zeit träufelt der nur noch. Die hängenden Mundwinkel, die wilde Geometrie der Stirnfalten, umrahmt von wirrem, widerborstigem Haar und die listig über den Brillenrand blinzelnden Augen – alles andere als ein strahlendes Geburtstagskind. Ich tu mir halt schwer mit der Lüge, auch der gezeichneten. Um dem Ganzen doch noch einen Schuss Fröhlichkeit zu verpassen, lasse ich ihn sein Bierkrügel erheben, während meine Schwester die nächste Runde serviert. Bei ihr habe ich – zugegeben – doch ein wenig geflunkert. Trotz ihrer Schwerarbeit strahlt sie, als wäre sie die Gefeierte. Schönheit liege, wie Onkel Gerhart sagt, im Auge des Betrachters. Zeichne ich die bekleckerte Servierschürze, sehe ich das blütenweiße Nachthemd, das sie trägt, wenn sie mir nach einem Albtraum zu Hilfe eilt. Ihr Haar ist für mich auch nicht zum strengen Kranz geflochten, sondern füllig und duftig. Zeichnen ist Freiheit. Die Zeichnung lebt, bewegt sich in deinem Kopf, wie auch Menschen sich weiterbewegen.

Nur Vater nicht. Der bleibt, wie er ist.

 

Der spannende Moment ist gekommen. Ich überreiche meinem Vater mein Geschenk. Wie wird er reagieren? Eben noch war ich mir so sicher, ihm mit meinem „Meisterwerk“ eine Freude zu machen; jetzt kriecht ein flaues Gefühl in mir hoch. Kein Meister fällt vom Himmel, heißt es doch. Werde ich der erste sein und hart landen? Die Art, wie er auf das ausgewickelte Bild starrt. Stumm. Verdächtig.

„Und? Gibst dein Sohn gar ka Bussl?“, sagt Pater Timo, um das Schweigen zu brechen.

„Naa, dös Oschnutzn isch bei uns nit Brauch“, erwidert Vater fast tonlos, wie versteinert sein Ebenbild fixierend. Nur das Zucken des linken Mundwinkels lässt ahnen, was er fühlt. Tiefste Demütigung. Inzwischen hat sich der Stammtisch rund um ihn geschart. Heiterkeit brandet auf.

„Donnerwetter!“, ruft Tögischer.

Oh ja, das Donnerwetter wird nicht ausbleiben, dessen bin ich mir sicher.

„Mein bester Schüler“, sagt Lehrer Leitl stolz. „Über seine Zeichnungen lache ich mich krumm.“

„Gott, diese Ähnlichkeit!“, ruft der Kaplan.

„Der Jaga, wia er leibt und lebt“, sagt der Glaser.

„Beleibt und verlebt“ ätzt Fuchshuber. Dröhnendes Gelächter.

„Im Ernst: Hut ab vor dein Buam, Theobald. I sog da, aus dem wird no a großa Humorist.“

Aber damit bringt Pater Timo das gallbittere Fass zum Überlaufen: „Nennscht du dös Humor, Pforra, ’n eignen Vota a so zu varhohnepiepeln. Sog amol, lernscht du den Kindern nit dös vierte Gebot? ‚Du sollst Vater und Mutter ehrn‘. Die Muata hot er unter d Erdn brocht, da miassat do fian Vota no a Restl Reschbekt ibrig sein.“

Betretenes Schweigen. Sogar eingesessene Stammtischler trauen ihren Ohren nicht. Nur ich bin nicht überrascht. Zu gut kenne ich ihn. Eine Weile würgt er alles in sich, dann platzen Sachen aus ihm heraus, die ihm im Nachhinein leidtun. Ich erinnere mich an einen ähnlichen Ausrutscher vor ein paar Jahren. Sofort hat er alles zurückgenommen und klargestellt, dass ich für Mutters Tod natürlich nichts dafürkönne. Niemand könne sich vorstellen, hat er gesagt, wie sehr er sie geliebt hat. Dabei hat er mit den Tränen gekämpft. Danach haben wir nie wieder über sie gesprochen. Das Thema war tabu. Wie sehr er es bereut, es jetzt wieder angeschnitten zu haben, sehe ich ihm an. Er ist knallrot im Gesicht, so peinlich ist ihm der Ausrutscher.

„Um Gotts Wülln, Jaga, wos redst n do? Auf da Stöll entschuldigst di bei dein Buam!“

„An Dreck werd i tuan. Der Bua isch in Ordnung, frech und hintafotzig wia nua wos. Hot er von mir. Tüchtig austäuln, s Leben schenkt da nix. Tua lei brav weiterzeichnen, kriagst an römischen Einser vom Herr Lehra. Heit hoscht ma gfolln.“

Spürbare Erleichterung am Stammtisch. Auch ich bin zufrieden. Solche Worte aus Vaters Mund haben Seltenheitswert. Trotzdem verläuft der Rest der Feier eher gedämpft. Da wird in einem Kraftakt ein Chor auf die Beine gestellt, um dem Wirten und Kriegshelden Andreas Hofer zu huldigen, und statt lauthals einzustimmen und das übliche Tränlein zu vergießen, bleibt der Jagawirt stumm.

Er wird wohl noch ein Weilchen brauchen, mein Geschenk zu verdauen.

 

Kategorie: Leseprobe

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