Verfolgungsjagd
„Schau nicht in die Scheinwerfer“, instruiere ich Hartmann, „öffne den Gurt und warte, bis ich bei dir bin! Vorher rührst du dich nicht von der Stelle, hörst du!“
Bleib ruhig, Tom! Schalte die Panik weg und versuche klar zu denken. Blende auf, was du hast, Scheinwerfer, Nebelleuchten…. jetzt turn dich hinüber auf die Beifahrerseite und nichts wie raus…. Irgendwas blockiert die Tür, sie geht nur einen Spalt auf. Ich arbeite mich halb aus dem Wagen, taste mit dem Fuß nach einem Untergrund, rutsche auf Eis aus, suche einen besseren Tritt, hänge noch immer in der Luft…. finde einen Felsen. Wenigstens kein Abgrund unter uns. Das Mondlicht zeigt eine Art Böschung, die spitzen Steine verdammt gefährlich, aber auch Sträucher, Unterholz. Eine Chance, Halt zu finden….
Die voll aufgeblendete Gloriole des Gegners taucht den Land Rover in Festglanz – das Schlachtfest steht unmittelbar bevor. Aber meine Stellung hat sich verbessert. Ich habe mich aus dem Fahrzeug geschält, schlage die Tür zu, hantle mich entlang zur Hintertür – kaum noch Zeit Hartmann rauszuholen! Aber der steht zum Glück schon im Freien. Gehorchen ist nicht seine Stärke, das rettet ihm das Leben. Denn jetzt baut sich der schwarze Panther sprungbereit vor uns auf…. uns bleibt nur noch ein Sekundenbruchteil….
„Lass dich fallen, Hardy!“
Ich fange ihn auf, halb fallen wir, halb rutschen wir…. Ein Mix aus Ästen, Dornen und Bodenwuchs bremst unseren Fall, bevor die Böschung in die Senkrechte übergeht. Über unseren Köpfen läuft eine Szene wie aus Hartmanns HoloGames: Triumph des Siegers. Der Panther hat den Gegner gerissen, schleift den Besiegten ein paar Meter mit sich, der erlegte Land Rover bäumt sich ein letztes Mal auf und fügt sich in das Unvermeidliche…. Schnauze voran stürzt er in den Abgrund, schlägt ein paar Mal auf, überschlägt sich und gewinnt mit jedem Salto an Tempo, bis er nach kurzem Sturzflug auf der Oberfläche des Sees aufklatscht. Das neue Element braucht bloß Sekunden, bis es sich des Kadavers bemächtigt und ihn zur Gänze verschlungen hat. Eine Weile noch verraten die im Mondlicht glitzernden konzentrischen Kreise die Einschlagstelle. Dann findet die Landschaft zu ihrer Ruhe zurück.
Eine Stille, die nur kurz anhält. Über uns setzt ein scheuerndes Geräusch ein, das gewaltsame Öffnen einer Tür gegen einen Widerstand. Klar, auch der Gegner kann bei einer solchen Wucht nicht unversehrt geblieben sein. Das Kratzen am Blech erzeugt Frequenzen, die mir normalerweise Gänsehaut über den Rücken jagen, aber nach dem eben Erlebten sind meine Sinne betäubt. Ich handle nur mehr noch mechanisch, halte Hartmann den Mund zu und drücke ihn tiefer in die Mulde, in der wir unsere Rutschpartie beendet haben, denn auf dem Schotter über uns sind knirschende Schritte zu hören…. Schritte, die sich uns nähern. Ein Lichtstrahl fegt über die Böschung. Natürlich. Ein so ausgekochter Gegner schließt die Möglichkeit, dass er unser Fahrzeug ohne Insassen abgeschossen hat, nicht aus und scannt das Terrain Zoll um Zoll nach uns ab. Der Lichtkegel nähert sich…. regungslos verharren wir in der Starre, dann erlischt der Lichtkegel. Direkt neben uns ergießt sich ein Wasserstrahl über den Moosboden – siehe da, die Bestie hat auch menschliche Bedürfnisse. Nach einer halben Minute verebbt der Strahl…. wieder die knirschenden Schritte…. dasselbe schaurige Türgeräusch wie vorhin…. der Motor wird gestartet…. der Wagen setzt sich in Bewegung…. das Motorengeräusch wird immer leiser, bis es sich tief unter uns verliert.
Stille….. „Die Luft ist rein“, sage ich.
„Und was machen wir jetzt?“
„Dasselbe wie er: Pinkeln.“
„Bereits geschehen“, sagt Hartmann lakonisch.